Das Bistum Münster hatte im Sommer 2024 auf Anregung von Betroffenen den Vorschlag unterbreitet, in jeder Gemeinde eine Blutbuche zur Erinnerung an den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu pflanzen. Ausdrücklich hatte eine Arbeitshilfe klargestellt, dass die Aktion niemandem „aufgezwungen werden“ solle. Auf Bitten des leitenden Pfarrers hat der Gemeinderat im September 2024 nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema ein kritisches Votum abgegeben:
„Der Gemeinderat von St. Josef hat beschlossen, sich in seiner Funktion als pastorales Gremium der Gemeinde an der Aktion nicht zu beteiligen, weil er sie in der jetzigen Form und zum jetzigen Zeitpunkt nicht für ein geeignetes Zeichen zum Umgang mit dem sexuellen Missbrauch durch Priester im Bistum Münster halten. Die Hauptgründe dafür sind folgende:
Die von dem wissenschaftlichen Gremium um Thomas Großbölting vorgelegte Studie zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester im Bistum Münster hat offengelegt, dass durchaus auch manche Ehrenamtliche in den betroffenen Gemeinden sich mitschuldig gemacht haben, weil sie über die Taten geschwiegen und die Täter gedeckt haben. Der sehr viel größere Anteil an Schuld und Verantwortung liegt aber laut der Studie eindeutig zum einen bei den Tätern selbst, zum anderen bei den Personalverantwortlichen des Bistums, die die Taten systematisch vertuscht, die Täter gedeckt, ihre Vertrauensstellung missbraucht und notwendige Entscheidungen „wegdelegiert“ haben.
Vor allem weist die Studie klar darauf hin, dass es in der katholischen Kirche nach wie vor Bedingungen gibt, „die den Missbrauch in besonderer Weise begünstigen“. Dazu führen die Autoren aus: „Es sind der Zentralismus der Institution und die Sakralisierung ihrer Machtstrukturen, es ist die Vorstellung vom Priester als ›heiligem Mann‹ und es sind die Unwahrhaftigkeit, Bigotterie und die internen Sprachblockaden, die aufgrund einer zunehmend lebensfremden Sexualmoral im Katholischen Einzug gehalten haben und damit den Missbrauch ermöglichen wie auch Vertuschung begünstigen. Wer die Betroffenen nur bemitleidet, ihnen lediglich Geld als Form der Anerkennung zur Verfügung stellt, sich in ebenso pathetischen wie unkonkreten Schuldbekenntnissen übt, ansonsten aber diese strukturellen Bedingungen als unabänderlich und von Gott gegeben sakralisiert, wird den Skandal des sexualisierten Machtmissbrauchs in der katholischen Kirche nicht im positiven Sinne aufarbeiten, sondern auf Dauer stellen. Der sexuelle Missbrauch und der Machtmissbrauch in der katholischen Kirche sind noch lange nicht zu Ende.“[1]
Die Missbrauchsfälle haben durch konkrete Täter an konkreten Orten stattgefunden, für ihre Vertuschung trugen konkrete Personen und Institutionen Verantwortung. Die geplante Blutbuchen-Aktion übt sich bestenfalls „in ebenso pathetischen wie unkonkreten Schuldbekenntnissen“, sie delegiert die Verantwortung an die Gemeinden vor Ort und deren Ehrenamtliche und sie verschleiert die konkreten Fälle, indem sie allerorts Bäume pflanzen lässt. Zudem ignoriert sie, dass viele der Opfer sich von der Kirche abgewandt oder noch immer für eine Anerkennung und Wiedergutmachung streiten, die ihrem Leid entspricht. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Noch weniger abgeschlossen ist die Auseinandersetzung mit den in der Studie beschriebenen strukturellen Gründen für die Missbrauchsfälle geschweige denn die Einleitung entsprechender Reformen. Auch deswegen kommt eine solche symbolische Erinnerungs-Aktion viel zu früh.
Wenn es aber im Kern um die Erinnerung an die Vertuschung der Taten durch falsch verstandenen klerikalen Korpsgeist und entsprechenden „Täterschutz“ geht, wäre eher das Generalvikariat als oberste Behörde des Bistums ein geeigneter Ort für die Pflanzaktion.
Die Tatsache, dass die Kosten für die Baumpflanzung und -pflege auch noch durch die Gemeinden getragen werden sollen, war für das Votum nicht entscheidend. Gleichwohl hält der Gemeinderat es nicht für angemessen, die Kosten statt von Bischof und Klerus aus Kirchensteuergeldern tragen zu wollen, und dann auch noch aus den Budgets der Gemeinden, die aktuell anders als das Generalvikariat von starken Zuweisungskürzungen betroffen sind.“
Der Gemeinderat von St. Josef
Im September 2024
[1] Macht und Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Täter und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945, Freiburg 2022, S. 546f.